Arzt deckt auf: Diagnose Pan(ik)demie
Archivmeldung vom 02.07.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDr. Friedrich Pürner deckt in seinem neuen Buch „Diagnose Pan(ik)demie. Das kranke Gesundheitssystem“ die Fehler des deutschen Gesundheitssystems auf, die nicht erst durch die Corona-Krise spürbar wurden. Der Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen und Epidemiologie war bis November 2020 Leiter eines bayrischen Gesundheitsamts und deckte Ungereimtheiten rund um die Corona-Politik auf. Dann wurde er versetzt – zwangsversetzt, wie er sagt. Jetzt ist sein Buch im Handel erhältlich. Dies berichtet das Magazin "Wochenblick.at".
Weiter berichtet das Magazin: "Durch seine Funktion als Gesundheitsamtsleiter erlebte Pürner die ersten beiden Corona-Wellen an einem Brennpunkt des Geschehens mit. Bis November 2020 leitete er das Gesundheitsamt Aichach-Friedberg. Für ihn macht das Virus nur noch offensichtlicher, woran das öffentliche Gesundheitswesen schon lange kranke. In seiner Neuerscheinung „Diagnose Pan(ik)demie. Das kranke Gesundheitssystem“ zeigt er die Funktionsweise des deutschen Gesundheitswesens auf, benennt Probleme und formuliert Lösungsansätze.
Situation in Krankenhäusern auch vor Corona „schauderlich“
Pürner hat viele Bereiche des deutschen Gesundheitssystems kennengelernt. Er war selbst als Assistenzarzt im Krankenhaus tätig und auch aus seiner späteren Funktion als Gesundheitsamtsleiter muss er konstatieren: „Die Hierarchien sind in Krankenhäusern zum Teil immer noch schauderlich.“ Minderbezahlte Arbeitskräfte, die an ihr Limit gehen und auch immer wieder erkennbare gravierende Mängel in der Hygiene, massiver Druck in der Belegschaft und stressbedingte Verabsäumungen kennzeichnen den Alltag in vielen deutschen Krankenhäusern, wie Pürner schildert. So seien Infektionsausbrüche oftmals einer unzureichenden Hygiene in den Krankenhäusern geschuldet.
Dr. Pürner sieht vor allem den Mangel an Personal als Ursache. Seit etwa 15 Jahren unterliege das deutsche Gesundheitssystem einer sehr negativen Entwicklung. Die zunehmende Privatisierung von Spitälern und ein dazu passendes Abrechnungssystem habe dazu geführt, dass die Krankenanstalten zunehmend gewinnorientiert agierten.
Oft schlechte Hygienische Zustände durch Personalmangel
„Warum brauchte man unbedingt Corona, um festzustellen, was man schon längst weiß? Der Pflege -und Ärztemangel im Gesundheitswesen war längst bekannt“, erklärt Dr. Friedrich Pürner gegenüber dem Wochenblick. „Es fehlt an Personal und die Assistenzärzte müssen buckeln. Doch das geht auch runter bis zu den Reinigungskräften. Die werden oftmals durch Subunternehmer bestellt. Beschäftigt sind dann meist die Ärmsten der Armen, die oft kaum Deutsch können. Alleine aufgrund sprachlicher Differenzen können sie ihre Arbeit aus seiner Sicht nicht ordentlich verrichten. Sie verstehen die Anweisungen ja gar nicht.“ Zu den Aufgaben der Gesundheitsämter gehören unter anderem auch die Begehungen von Krankenhäusern.
Neben diesen Regelbegehungen wurden auch Kontrollen bei Ausbrüchen von Infektionserkrankungen, wie zum Beispiel beim Ausbruch des Noro-Virus durchgeführt. „Wir konnten immer wieder feststellen, dass das oft auch mit der Reinigungssituation zu tun hat. Es hat nicht nur mit der Pflege und den Schutzmaterialen zu tun. Normale Reinigungsanweisungen wurden oft nicht umgesetzt, weil sie wahrscheinlich nicht verstanden wurden“, erklärt Pürner. „Wenn wir die Hygiene betreffende Mängel feststellten, forderten wir dazu auf, diese zu beheben. Für die Verbesserung der Personalsituation hatten wir jedoch nicht die Befugnis“, schildert er. Die Verantwortung obliegt alleine dem Krankenhaus.
Corona brachte keine Verbesserung
Wenn er Mängel feststellte, setzte der Mediziner dennoch alles daran, eine Verbesserung zu erreichen: „Wir brachten auch Fälle zur Staatsanwaltschaft. Doch das verlief meist im Sande. Das Gesundheitsamt tut sich in Deutschland schwer, die verankerten Vorgaben durchzusetzen.“ Corona habe die Situation nicht verbessert. Im Gegenteil. Zwar habe man zu Beginn der Krise laut für die Pflegekräfte applaudiert. Auch versprach man ihnen einen Corona-Bonus. Doch Pürner kennt mehrere Fälle, in denen dieser nie ausbezahlt wurde. „Da wurde laut applaudiert, aber verbessert wurde nichts. Es fehlt an Wertschätzung für Ärzte, Pflege- und Reinigungskräfte.“ Die Bezahlung wurde nicht erhöht. Pürner: „Sie können vom Applaus nicht runterbeißen.“
Falsche finanzielle Anreize: Leere Betten für den Profit
Stattdessen seien seitens der Politik vollkommen falsche, finanzielle Anreize an die Krankenhäuser gesetzt worden. Die Krankenhäuser seien für leerstehende Betten bezahlt worden, die für Corona bereitgestellt wurden. Die Folgen: „Vorsorgeuntersuchungen, Reha-Behandlungen, Operationen wurden oftmals nicht gemacht vor lauter Angst vor Corona und weil man die Betten freihalten wollte. Das war ein wesentlicher Punkt, der mich ins Grübeln brachte. Das liegt am finanziellen Anreiz, der da geschaffen wurde.“
Pürner begann zu recherchieren und wurde immer kritischer. „2019 forderte Lauterbach noch, jede zweite Klinik zu schließen. Gleichzeitig wird ein Jahr später Stimmung gemacht, man müsse aufpassen, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet werde.“, ärgert sich Pürner. Doch er hat sich die Situation genau angesehen und stieß dabei auf die Information, dass etwa 20 Kliniken im Corona-Jahr geschlossen wurden. Sehr wahrscheinlich deshalb, weil sie sich finanziell nicht (mehr) rentierten.
Aus Gesunden werden Kranke gemacht
Doch das sei bei weitem nicht der einzige große Fehler der Gesundheitspolitik während Corona. „Es war bis heute nicht möglich, eine ordentliche Zahlenerhebung durchzuführen. Und aufgrund dieser schlechten Zahlenlage werden Maßnahmen getroffen. Die Inzidenzwerte sind eine nackte Zahl. Dabei geht es nicht um Kranke, sondern oftmals nur um positive Laborbefunde.“ Das stehe entgegen jeder sonst üblichen medizinischen Praxis. „Da werden auch Menschen mitgezählt, die gesund sind. Sie gelten dann als krank und gehen in Isolation.“
Corona zeigt bestehende Missstände deutlich auf
Dass Corona zu einer Krise solchen Ausmaßes wurde, liege nicht in erster Linie an der Gefährlichkeit des Virus, sondern an den Fehlern des Gesundheitssystems. Die Verschränkung von Politik und Medizin habe teilweise fatale Folgen, die lange unbemerkt blieben. Corona wirke dabei wie ein Brennglas, denn wir bekämen diese Auswirkungen in der Krise nun erstmals wirklich zu spüren. „Selbst wenn wir die aktuelle Pandemie in den Griff bekommen, wird die nächste das öffentliche Gesundheitswesen vielleicht noch deutlicher an seine Grenzen führen.“ Sind wir dafür gewappnet? Nein, sagt der Amtsarzt. „Wir müssen die strukturellen Probleme endlich angehen, Missstände beseitigen und Qualitätsstandards setzen, um künftigen Herausforderungen begegnen zu können.“
Keine Angst vor Applaus von falscher Seite
Seine Kritik kostete Pürner die Karriere. Doch ein Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage. Der Epidemiologe überlegt sogar bereits, ein weiteres Buch herauszubringen. Und das, obwohl ihm ein eisiger Wind entgegenbläst: „Eine Diffamierungswelle zieht durch das Land, die ich mir so niemals hätte vorstellen können.“
Er ärgert sich über die „Angst vor dem Applaus von der falschen Seite“. Denn Pürner „möchte in kein politisches Eck gestellt werden, nur weil mir beispielsweise eine Partei in meiner fachlichen Kritik recht gibt.“ Das werde einem sofort negativ ausgelegt. Dabei spreche Pürner mit jedem, der Interesse daran habe, er steht zu seinen fachlichen Ansichten.
Für die Demokratie
Doch was ist es, das ihn so stark macht? „Ich bin ein überzeugter Beamter. Ich stehe für die Demokratie ein. Ein Beamter hat meinem Verständnis nach der Bevölkerung zu dienen. Ich sehe es als meine Pflicht, darauf hinzuweisen, dass die Bevölkerung Schaden nimmt.“ Und auch als Arzt sehe er es als seine ethische Pflicht, darauf hinzuweisen, dass die Maßnahmen schädlicher seien, als das Virus selbst. Dabei leugne er die Gefährlichkeit des Virus keineswegs. Der Facharzt erklärt: „Menschen erkranken, Menschen sterben großteils in bestimmten Altersgruppen und mit Vorerkrankungen. Doch unter den Maßnahmen leidet die gesamte Bevölkerung – vor allem aber die Kinder. Und weil Kinder ganz besonderen Schutz brauchen, werde ich mich für die Kinder besonders stark einsetzen.“
Für die Kinder
Sie gehen dem aufrechten Vater besonders nah. Auch seine eigenen Kinder sind ihm ein wichtiger Beweggrund, laut zu sein: „Ich will natürlich auch Vorbild für meine Kinder sein. Es ist mir wichtig, für meine Überzeugung einzustehen, eine fundierte Meinung zu haben und die muss man auch nach außen hin verteidigen. Das gehört zur Demokratie. Ich lasse mich von niemandem aufhalten. Ich habe in Kauf genommen, meine Karriere aufzugeben beziehungsweise hinten anzustellen, weil mir freie Meinungsäußerung wichtiger ist als mein beruflicher Aufstieg.“
Quelle: Wochenblick