Musik aus dem Ohr
Archivmeldung vom 12.01.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas menschliche Ohr kann Töne nicht nur wahrnehmen, sondern auch erzeugen. Hört es die zwei oberen Töne eines Dur-Dreiklanges, produziert es den Grundton des Akkordes, den man dann messen kann. Dieses Phänomen, otoakustische Emission (OAE) genannt, nutzen Ohrenärzte für objektive Hörtests etwa bei Neugeborenen. Untersuchungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zeigen, dass ein OAE-Hörtest noch verlässlicher wird, wenn man die beiden Töne nicht per Lautsprecher, sondern per Knochenleitung ans Ohr bringt.
Egal ob in Europa, Arabien oder China – das menschliche Ohr ist stets auf Dur gestimmt. Hört es die zwei oberen Töne eines Dur-Dreiklanges, erzeugt es den dritten, tiefsten Ton des Akkordes selber. Wissenschaftlich korrekt heißt dieser Ton Distorsionsprodukt-otoakustische Emission (OAE). Er entsteht aufgrund anatomischer und physikalischer Gesetzmäßigkeiten: Sind die Haarzellen im Innenohr gesund und heil, werden sie durch die beiden zueinander passenden Töne angeregt, mit einer dritten Frequenz (Tonhöhe) zu schwingen. Dieser tiefere Ton dringt wieder aus dem Ohr heraus. Der Besitzer des Ohres hört ihn nicht, aber ein empfindliches Mikrofon kann ihn messen. Mithilfe dieses Phänomens lässt sich schon bei Neugeborenen oder Kleinkindern objektiv feststellen, ob das Gehör intakt ist. Gerade bei Babies ist es sehr wichtig, dass eine Schwerhörigkeit schnell erkannt wird, weil die ersten Lebensjahre für die Entwicklung der Kommunikations- und Lernfähigkeit entscheidend sind.
Bisher nimmt man für einen solchen Hörtest zwei winzige Lautsprecher, die jeweils einen Ton ins Ohr aussenden, sowie ein Miniaturmikrofon, das den dritten Ton aufzeichnet – wenn er denn kommt. Bleibt er aus, dann haben die Ärzte einen ersten Hinweis darauf, dass das Baby eine Therapie oder ein Hörgerät brauchen könnte.
Doch es kann vorkommen, dass das Ohr gesund ist und trotzdem nicht „brummt“, weil nämlich einer der beiden Töne gewissermaßen auf dem Weg ins Innenohr verlorengegangen ist. Grund dafür können stehende Wellen im Gehörgang sein, ausgelöst von den beiden eingestrahlten Tönen. „Oder es liegt ein Schaden am Mittelohr vor, der verhindert, dass die Töne an die Sinneszellen im Innenohr gelangen – obwohl die an sich perfekt intakt sind. Dann vermuten die Ärzte den Schaden am falschen Ort“, erklärt PTB-Wissenschaftler Makram Zebian. Drittens kann es vorkommen, dass die Lautsprecher nicht gut genug kalibriert sind, dass sie also gar nicht zuverlässig zwei Töne mit der richtigen Frequenz erzeugen.
Zebian und seine Kollegen haben in einem DFG-Projekt Alternativen zu dem Lautsprecher-Verfahren untersucht. Sie ließen die zwei Töne direkt auf die Knochen am Ohr einwirken. Das nennt man Knochenleitungsstimulation. Es ist, wie wenn ein Musiker seine Stimmgabel direkt hinters Ohr hält und den Ton dann ungestört vom Umgebungslärm hört. Die PTB-Akustiker verwendeten sogenannte Knochenleitungshörer, wie sie bereits jetzt für Hörtests bei erwachsenen Menschen verwendet werden. Zunächst setzten sie zwei solcher Knochenleitungshörer ein und stellten fest: Auch auf diese Weise kann eine otoakustische Emission erzeugt werden. Dann kombinierten sie einen Knochenleitungshörer mit einem Lautsprecher. Auch dann funktionierte das Verfahren „Dies hätte den Vorteil, dass man nur ein Ohr benötigt, sodass das Baby auf der Seite liegen kann“, erläutert Zebian.
In der PTB lag der Fokus des Projektes eher auf der Kalibrierung von Lautsprechern und Messsonden. Aber natürlich ist das Verfahren auch interessant für Ärzte. Denn es macht den OAE-Hörtest sicherer. Die beiden Methoden könnten sich ergänzen: Hat man zunächst mit den Lautsprechern keinen Erfolg erzielt, kann das Problem am Mittel- oder am Innenohr liegen. Hat man danach aber sehr wohl über die Knochenleitungsmethode Erfolg, dann liegt ziemlich sicher ein Problem am Mittelohr vor – und nicht etwa am Innenohr. „Die Ärzte haben also die Möglichkeit einer besseren Differenzialdiagnose“, so Zebian.
Jetzt müssen klinische Studien folgen. Erste Kontakte zu Kliniken sind bereits geknüpft.
Quelle: Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) (idw)