Geruchsforschung: Wenn die Nase leuchtet
Archivmeldung vom 26.03.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWissenschaftler aus Aachen, Mailand und Berlin haben herausgefunden, wie wir unterschiedlich starke Gerüche wahrnehmen. Doch nicht nur das: Ihre neu entwickelte Methode könnte langfristig auch hilfreich bei der Diagnose von Alzheimer oder Parkinson sein. Die Forscher veröffentlichen ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe von Nature Neuroscience.
Mitochondrien, auch als „Kraftwerke der Körperzellen“ bezeichnet, haben die Hauptaufgabe, Energie aus Nahrung zu erzeugen. Seit kurzem wissen wir, dass Mitochondrien außerdem den Kalziumspiegel in Zellen regulieren. In der Riechforschung wurden bislang zwar viele Prozesse der Kalziumregulation in Riechnervenzellen untersucht. Die Rolle von Mitochondrien war bisher allerdings unerforscht. Hier setzten die Wissenschaftler(innen) der RWTH Aachen Universität, des Berliner Charité – NeuroScience Research Center und des italienischen Forschungsunternehmens Axxam SpA mit ihrer Arbeit an. Ihnen ist es gelungen, den Prozess der Geruchswahrnehmung mithilfe einer neuartigen Messmethode sichtbar zu machen.
Bisher war bekannt, dass sich der Kalziumspiegel unmittelbar erhöht, wenn Riechnervenzellen in unserer Nase in Kontakt mit eingeatmeten Duftstoffen kommen. Dies führt zu einem elektrischen Impuls, der über Nervenfortsätze an das Gehirn weitergeleitet wird. Ob auch Mitochondrien dieses Duftsignal beeinflussen, war bisher allerdings unklar. Die neu entwickelte Methode ermöglicht nun, den Anstieg des Kalziumspiegels im Inneren der Mitochondrien unter dem Mikroskop zu erkennen. Dabei spielt ein Prozess, Biolumineszenz genannt, eine entscheidende Rolle. Durch die Technik löst das in die Mitochondrien einfließende Kalzium eine chemische Reaktion aus, bei der Licht entsteht. Die Experimente der Duftforscher finden in völliger Dunkelheit statt, und nur wenn der Kalziumspiegel im Inneren der Mitochondrien ansteigt, wird Licht gebildet, das die Wissenschaftler mikroskopisch „einfangen“ können. Beim Riechen beginnt die Nase quasi zu leuchten. Ihre Ergebnisse veröffentlicht das Forscherteam jetzt im renommierten Fachmagazin Nature Neuroscience http://dx.doi.org/10.1038/nn.3074.
Das Leuchten beweist, dass Mitochondrien in den Riechnervenzellen an der Regulation des Kalziumspiegels beteiligt sind. Und nicht nur das: Die Wissenschaftler konnten beobachten, dass Mitochondrien im Inneren der Zellen „wandern“. Sobald ein Duft die Riechnervenzellen dauerhaft stimuliert, werden Mitochondrien in diejenigen Areale der Zellen transportiert, in denen der Kontakt mit Duftstoffen stattfindet. Ausgehend von den neuen Erkenntnissen sind die Wissenschaftler der Frage nachgegangen, welche Folgen ein Verlust der Kalziumspeicherfunktion von Mitochondrien für das Riechvermögen hat. Die Antwort: Bei einem Funktionsausfall werden Gerüche zwar weiterhin wahrgenommen, die Nase ist jedoch nicht mehr in der Lage zu „messen“, ob eine Substanz stark oder schwach riecht.
Dieses neue Wissen über die Funktionsweise von Mitochondrien ist jedoch nicht nur für die Geruchsforschung von Interesse, so Lichtenberg-Professor Dr. Marc Spehr, der das Aachener Forscherteam leitet und von der VolkswagenStiftung mit 1,4 Millionen Euro gefördert wird: „Eine Reihe von neurodegenerativen Erkrankungen, wie beispielsweise Parkinson und Alzheimer, werden mit defekten Mitochondrienfunktionen in Verbindung gebracht. So könnte eine Weiterentwicklung unserer neuen Messmethode langfristig möglicherweise auch in der Diagnostik solcher Krankheitsbilder eingesetzt werden.“
Quelle: VolkswagenStiftung (idw)