Fruktose treibt Teufelskreis an
Archivmeldung vom 20.06.2015
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Freigeschaltet durch Manuel Schmidt«Gehen Sie einmal durch einen Supermarkt und schauen Sie sich die Etiketten von Lebensmitteln an – in sehr vielen davon ist Fruktose auch in Form von Saccharose, also Haushaltszucker, enthalten», bringt Wilhelm Krek, Professor für Zellbiologie am Institut für Molekulare Gesundheitswissenschaften der ETH Zürich, das Problem heutiger Nahrungsmittel auf den Punkt. Insbesondere Fertigprodukte, Limonaden aber auch die vermeintlich gesunden Fruchtsäfte enthalten künstlich beigegebenen Fruchtzucker – oft in rauen Mengen.
Fruktose hat in den vergangenen Jahrzehnten den Nahrungsmittelmarkt erobert, da sie als weniger schädlich als Glukose galt. Im Gegensatz zu Glukose bewirkt Fruktose kaum eine Insulinausschüttung und der Glukosespiegel im Blut steigt nur wenig an. Die als schädlich geltenden und - bei jeder Aufnahme von glukosehaltiger Nahrung - wiederkehrenden Insulinspitzen können so vermieden werden. Ausserdem empfindet der Mensch Fruktose als deutlich süsser im Geschmack.
Der Nachteil: Die Leber wandelt Fruktose sehr effizient in Fett um. Wer übermässig viel Nahrungsmittel mit hohem Fruktoseanteil konsumiert, kann mit der Zeit an Übergewicht, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung mit Leberverfettung und Insulinresistenz leiden, ein Krankheitsbild das Mediziner unter dem Begriff Metabolisches Syndrom zusammenfassen.
Ungebremstes Herzmuskelwachstum
Wilhelm Krek und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Peter Mirtschink zeigen nun in einer neuen Publikation eine weitere brisante «Nebenwirkung» von Fruktose auf. Die Forscher haben einen bis dato unbekannten molekularen Mechanismus entdeckt, der Fruktose als einen wesentlichen Treiber für unkontrolliertes Wachstum des Herzmuskels identifiziert, das bis hin zum tödlichen Herzversagen führen kann. Die Studie wurde soeben in Nature veröffentlicht.
Leidet der Mensch unter Bluthochdruck, muss das Herz wachsen, um das Blut stärker in den Kreislauf pumpen zu können. Die wachsenden Herzmuskelzellen brauchen jedoch viel Sauerstoff. Da dieser aber während des erhöhten Wachstums nicht genügend zur Verfügung gestellt werden kann, stellen die Zellen ihre Energiegewinnung um. Statt Energie aus Fettsäuren zu gewinnen, nutzen sie vermehrt die sogenannte Glykolyse, also die sauerstofflose Aufspaltung von Zuckern. Steht den Herzmuskelzellen neben der Glukose auch Fruktose zur Verfügung, kommt eine fatale Kettenreaktion in Gang.
Schalter für Fruktose-Stoffwechsel umgelegt
Die Forschungsgruppe um Krek zeigt mit ihrer Studie auf, dass der Sauerstoffmangel in den Herzzellen das Molekül HIF auf den Plan ruft. Dieses ist ein universeller molekularer Schalter, der immer bei krankhaften Wachstumsprozessen, sei es bei Herzvergrösserung oder Krebs, in Aktion tritt. In den Herzmuskelzellen sorgt er dafür, dass das zentrale Enzym des Fruktose-Stoffwechsels, die Ketohexokinase-C (KHK-C), gebildet wird. KHK-C hat eine hohe Affinität für Fruktose und kann diese daher sehr effizient verarbeiten. Die Bildung von KHK-C wirkt sich auch verstärkend auf die Glykolyse aus. Da die Verstoffwechselung von Fruktose keine negative Rückkopplung kennt beginnt ein Teufelskreis, der zum Herzversagen führen kann.
Überprüft haben die Forscher diesen Mechanismus nicht nur an Mausmodellen, sondern auch an biologischen Proben von Patienten. Diese litten an krankhafter Herzvergrösserung mit entsprechender Verengung an der Herzklappe zur Hauptschlagader. Bei Operationen am Herzen konnten Chirurgen Proben von Herzmuskelzellen gewinnen, in welchen die ETH-Forscher tatsächlich sowohl mehr HIF- als auch KHK-C Moleküle nachweisen konnten. Bei Mäusen, die an chronischen Bluthochdruck litten, schalteten die Forscher das KHK Enzym aus. Dadurch liess sich die Vergrösserung des Herzens tatsächlich verhindern.
Ein Gen, zwei Enzyme
Weiterer bemerkenswerter Fakt ist: Von KHK-C gibt es im Körper eine sehr ähnliche Variante, das Enzym KHK-A, das keine Vorliebe für Fruktose hat. Beide Enzyme haben aber den gleichen genetischen Code. Wesentlich ist, dass der Bauplan für die beiden Enzyme, also die Boten-RNS, die eine Abschrift des entsprechenden Gens ist, nach Bedarf von einem molekularen Schneidewerkzeug in verschiedener Weise zugeschnitten wird. Somit können aus einem Gen zwei Baupläne und folglich zwei verschiedene Enzyme generiert werden. Die Fachleute nennen diesen Vorgang «alternatives Spleissen». «Rund 95 Prozent aller Gene des Menschen werden alternativ gespleisst», sagt Krek, «nur so kann die ausserordentliche Vielfalt an Proteinen, Enzymen und Regulatoren im menschlichen Körper überhaupt gebildet werden.»
Normalerweise stellen nur Leberzellen das Fruktose-affine KHK-C-Enzym her. Die anderen Organe bilden fast ausschliesslich KHK-A. Die ETH-Forscher zeigen nun zum ersten Mal auf, dass auch ein Organ wie das Herz dazu in der Lage ist, das effizientere der beiden Enzyme zu erzeugen, wenn es krankhaften Stressoren ausgesetzt ist. Dabei aktiviert HIF das molekulare Schneidewerkzeug SF3B1. Interessanterweise ist SF3B1 bei vielen Krebsarten häufig genetisch verändert, was möglicherweise darauf hindeutet, dass auch das Wachstum von Krebs durch Fruktose beeinflusst werden könnte.
Normaler Fruchtverzehr unbedenklich
Fruktose ist in zahlreichen Nahrungsmitteln, vor allem aber in Süssgetränken und Limonaden in grossen Mengen zugegeben. In den USA stieg so der Konsum von stark fruktosehaltigem Maissirup zwischen 1970 und 1997 von 230 Gramm pro Jahr und Kopf auf über 28 Kilogramm.
Der Verzehr von einer normalen Tagesration Früchten ist laut Peter Mirtschink aber unbedenklich und gesund. «Früchte enthalten neben Fruktose auch zahlreiche wichtige Spurenelemente, Vitamine und Ballaststoffe», sagt er. Vermeiden sollte man jedoch stark gezuckerte Limonaden und Fruchtsäfte – diese sind oft nachgesüsst –, und auf Fertiggerichte und andere Speisen, bei denen grosse Mengen an Fruktose als Geschmacksträger eingesetzt werden. «Dieses Surplus an Fruktose kann bereits dazu beitragen, den von uns beschriebenen Mechanismus in Gang zu setzen, wenn einer der Stressfaktoren wie Herzklappenerkrankungen oder Bluthochdruck vorhanden sind», betont Mirtschink.
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) (idw)