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Fehlzeiten-Report 2012: Zu viel berufliche Flexibilität schadet der Psyche

Archivmeldung vom 16.08.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.08.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Fehlzeiten-Report 2012
Fehlzeiten-Report 2012

Durch die zeitliche und räumliche Flexibilisierung der Arbeitswelt stoßen Arbeitnehmer an ihre psychischen Belastbarkeitsgrenzen. Insbesondere bei ständiger Erreichbarkeit, häufigen Überstunden, wechselnden Arbeitsorten und langen Anfahrtswegen zur Arbeit leiden Beschäftigte zunehmend an psychischen Beschwerden. Das belegt der heute in Berlin vorgestellte "Fehlzeiten-Report 2012" des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). "Im Grunde ist es gut für die Gesundheit, wenn Beschäftigte ihre Arbeit räumlich und zeitlich an die eigenen Bedürfnisse anpassen können. Aber diese Flexibilität braucht ihre Grenzen", sagte Helmut Schröder, Herausgeber des Fehlzeiten-Reports und stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.

Eine repräsentative Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den neuen Fehlzeiten-Report belegt dies deutlich. Mehr als jeder dritte Erwerbstätige hat in den letzten vier Wochen häufig Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeit erhalten (33,8 Prozent) oder Überstunden geleistet (32,3 Prozent). Auch Arbeit mit nach Hause zu nehmen (12,0 Prozent) oder an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten (10,6 Prozent) stellt kein Randphänomen dar. Nahezu jeder achte Beschäftigte gibt zugleich an, dass er Probleme mit der Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit hat (13,2 Prozent) oder auch wegen beruflicher Verpflichtungen Pläne für private Aktivitäten geändert hat (12,8 Prozent).

"All diese Belastungen im Arbeitsalltag führen dazu, dass diese Beschäftigten mehr an psychischen Beschwerden leiden als diejenigen, die diesen Belastungen nicht ausgesetzt sind", erläuterte Helmut Schröder. Dabei berichten die Befragten nicht nur über Erschöpfung (20,8 Prozent) oder das Problem in der Freizeit nicht abschalten zu können (20,1 Prozent), sondern auch über Kopfschmerzen (13,5 Prozent) oder Niedergeschlagenheit (11,3 Prozent). Nennt im Durchschnitt jeder Beschäftigte über 1,5 dieser Beschwerden in den letzten vier Wochen, führen die verschiedenen Entgrenzungsformen von Arbeit und Freizeit zu deutlich mehr psychischen Problemen: Bei häufig mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit werden mehr als doppelt so viele Beschwerden benannt (3,2). Auch wer häufig private Aktivitäten aufgrund beruflicher Belange verschiebt (2,8), an Sonn- und Feiertagen arbeitet oder häufig Überstunden leistet (jeweils 2,0) berichtet häufiger von psychischen Beschwerden.

Lust und Last der Mobilität

Immer öfter sind Arbeitnehmer mobil: Heute sind bereits rund 40 Prozent der Berufstätigen zirkulär oder residenziell mobil. Das heißt, sie sind entweder Wochenendpendler, pendeln täglich mindestens eine Stunde zur Arbeit oder haben ihren Wohnort aufgrund beruflicher Anforderungen gewechselt. Viele Beschäftigte nehmen auch lange Fahrtzeiten zu ihrem Arbeitsplatz in Kauf. Aus der räumlichen Mobilität ziehen Arbeitnehmer durchaus Vorteile, etwa indem sie Arbeitslosigkeit vermeiden oder Aufstiegschancen an anderen Orten nutzen. Gleichzeitig sind sie aber auch stärker psychischen Belastungen ausgesetzt. Die Beschäftigtenbefragung des WIdO belegt, dass die Belastung durch übermäßiges Pendeln mit einer Zunahme von psychischen Beschwerden wie Erschöpfung oder Niedergeschlagenheit einhergeht. Ergänzende Fehlzeitenanalysen bestätigen einen Zusammenhang von Fehltagen sowie Fallzahl psychischer Erkrankungen und der Länge des Anfahrtsweges zur Arbeit. Bei Beschäftigten, deren Arbeitsplatz mehr als 500 km von ihrem Wohnort entfernt ist, gab es 2011 statistisch fast einen halben Fehltag mehr aufgrund einer psychischen Erkrankung als bei Beschäftigten, die weniger als 30 km zur Arbeit pendeln. Die 7,5 Millionen bei der AOK versicherten Be-schäftigten, die bis zu 30 km zur Arbeit fahren, haben aufgrund von psychischen Erkrankungen knapp 12 Millionen Fehltage. Dies entspricht 9,1 Prozent der Fälle je 100 Versicherte. Dieser Wert steigt kontinuierlich mit der Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort. Bei Beschäftigten, die mehr als 500 km von ihrem Wohnsitz arbeiten, waren dies immerhin 11,1 Prozent. Damit unterliegen Pendler mit großen Strecken einem um 20 Prozent höheren Risiko, an psychischen Symptomen zu erkranken. "Hier gilt es, die Innovationen bei den modernen Kommunikationsmedien zu nutzen. So können Unternehmen und Beschäftigte Flexibilitätsanforderungen und gesundes Arbeiten besser miteinander in Einklang bringen", so Helmut Schröder.

Psychische Erkrankungen nehmen weiter zu

Parallel zur zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt nimmt die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen bei den Beschäftigten weiter zu. Im Vergleich zu 2010 ist der Anteil der Arbeitsunfähigkeitstage im vergangenen Jahr um 0,3 Prozentpunkte angestiegen. Seit 1994 ist die Zahl der psychischen Erkrankungen um 120 Prozent angestiegen. Das macht sich bei den Fehlzeiten bemerkbar: 2011 waren Ausfallzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen mit im Schnitt 22,5 Tagen je Fall mehr als doppelt so lange wie andere Erkrankungen mit durchschnittlich 11 Tagen je Fall.

Immer häufiger lautet die Diagnose "Burnout". Nach einer Hochrechnung des WIdO, bezogen auf die mehr als 34 Millionen gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten in Deutschland, waren 2011 mehr als 130.000 Personen wegen eines Burnouts krankgeschrieben. Das führte zu insgesamt 2,7 Millionen Fehltagen. Betroffen waren insbesondere die Beschäftigten in sozialen Berufen. Außerdem waren Frauen häufiger betroffen als Männer.

Krankenstand nahezu auf Vorjahresniveau

Insgesamt ist der Krankenstand im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken und lag 2011 bei 4,7 Prozent. Im Durchschnitt dauerte eine Arbeitsunfähigkeit im vergangenen Jahr 11,0 Tage. Dabei hat sich der Krankenstand auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau eingependelt. Die meisten der 140 Millionen Krankheitstage entfielen 2011 auf die Gruppe der Muskel- und Skeletterkrankungen (23,1 Prozent). Darauf folgen Atemwegserkrankungen (12,4 Prozent), akute Verletzungen (12,3 Prozent) und psychische Erkrankungen (9,6 Prozent).

Fehlzeiten differieren deutlich nach Branchen und Tätigkeiten

Die Fehlzeiten unterscheiden sich deutlich nach Branchen und Tätigkeiten. 2011 wurde in vielen Branchen ein Anstieg des Krankenstandes festgestellt. Der höchste Krankenstand war in der Branche "Energie, Wasser, Entsorgung und Bergbau" mit 5,6 Prozent zu finden. Ebenfalls hohe Krankenstände verzeichneten die Branchen "Öffentliche Verwaltung und Sozialversicherung" (5,5 Prozent), "Verkehr und Transport" (5,2 Prozent) sowie das Baugewerbe (4,9 Prozent). Die Branche "Banken und Versicherungen" hatte mit 3,3 Prozent den niedrigsten Krankenstand.

Die Berufsgruppen mit den meisten Ausfalltagen waren im Jahr 2011 vor allem in körperlich stark beanspruchenden Berufen zu finden, wie etwa bei Straßenreinigern und Abfallbeseitigern (28,4 Tage) sowie bei Fleisch- und Wurstwarenherstellern (25,2 Tage). Die niedrigsten Krankenstände waren bei Hochschullehrern und Dozenten (4,4 Tage) zu verzeichnen.

Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (ots)

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