Antibiotische Nahrungskette: Aigner will Massentierhaltung besser kontrollieren
Archivmeldung vom 11.01.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Grünen kritisieren das Anti-Antibiotika-Programm der Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) als zu unverbindlich, und das wahrscheinlich zu recht. Aber auch wenn man die Verbote noch etwas drastischer formulieren würde, die Kontrollen noch etwas schärfer gestalten, all das würde wohl nichts helfen. Antibiotika sind das Lebenselixier der industriellen Massentierhaltung, ganz besonders in der Hähnchen- und Putenmast.
Denn wo Zigtausende von Tieren auf engstem Raum untergebracht sind, breiten sich Erreger schnell aus. Eine gezielte Behandlung von tatsächlich erkrankten Teilen des Bestandes ist nicht möglich, also kriegen es alle Tiere. Mehr noch: Die Gewinnmargen in der industriellen Tierhaltung sind so niedrig, dass die Todesrate im Stall um fast jeden Preis minimiert werden muss. Vorbeugende Antibiotika-Behandlung wird damit zur existenziellen ökonomischen Notwendigkeit für die Bauern. Ohne Antibiotika kein Billigfleisch, das ist die einfache Rechnung. Sie ist schon lange bekannt. Deswegen verwundert es sehr, dass erst Untersuchungen in zwei Ländern und eine Stichprobe des Bundes Naturschutz das Ministerium auf Trab bringen. Immer muss es erst Schlagzeilen geben, die den Verkauf beeinträchtigen, ehe etwas geschieht. Aber ebenso verwunderlich ist auch die erschrockene Reaktion des Publikums, das gerne Billigfleisch isst und sich nun vor resistenten Keimen fürchtet. Das eine bedingt das andere. Nur andere, artgerechtere Haltungsformen in der Tierzucht können das Problem wirklich beheben. Aber davon will vom Anfang bis zum Ende dieser Produktionskette, vom Züchter bis zum Esser, immer noch fast niemand etwas wissen.
BfR stuft den massiven Einsatz von Antibiotika in der Tierproduktion als bedenklich ein
Eine Stichprobe des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat für Aufregung gesorgt: Auf zehn von 20 gekauften Fleischproben sind ESBL-Keime gefunden worden, zwei Proben waren mit MRSA-Keimen belastet. „Der Fund von derartigen resistenten Keimen auf Hähnchenfleisch ist keine neue Erkenntnis“, erklärt Professor Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Im Rahmen des Zoonosen-Monitorings 2009 hatte das BfR die Resistenzsituation von Zoonose-Erregern und kommensalen Keimen analysiert. Von 629 untersuchten Proben Hähnchenfleisch waren 22,3 Prozent MRSA-verdächtig. In repräsentativen Erhebungen im Jahr 2009 wurden bei Nutztieren und in Lebensmitteln zu einem geringen Anteil auch ESBL-verdächtige kommensale E. coli nachgewiesen. So wurden beispielsweise bei 5,9 Prozent der E. coli-Isolate von Masthähnchen und 6,2 Prozent der E. coli-Isolate von Hähnchenfleisch Resistenzen gegen ein Cephalosporin der dritten Generation nachgewiesen, was ein Zeichen für die Bildung von ESBLs ist. Aber auch auf Putenfleisch, Schweinefleisch und aus Kotproben von Mastkälbern wurden solche Keime nachgewiesen. In seiner Pressemitteilung vom 13. Dezember 2010 hatte das BfR auf diese Ergebnisse hingewiesen und den Bericht veröffentlicht.
Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) sind Keime, die beim Menschen unter anderem Wundinfektionen und Entzündungen der Atemwege hervorrufen können und gegen bestimmte Antibiotika resistent sind. Bisher trat der Keim vor allem in Krankenhäusern auf. Ein besonderer Typ von MRSA, der sogenannte Livestock associated (LA) MRSA, tritt auch bei Nutzieren auf. Bisher sind nur wenige Fälle beschrieben, bei denen eine MRSA-Infektion des Menschen auf Lebensmittel zurückgeführt werden konnte. In den wenigen bekannten Fällen waren die Lebensmittel durch infizierte Personen verunreinigt worden.
ESBL-bildende Bakterien können einige Antibiotika, wie Penicilline und Cephalosporine der 3. und 4. Generation durch Enzyme zerstören und sind dadurch gegen diese Wirkstoffe unempfindlich. ESBL steht für extended-spectrum beta-lactamases (Beta-Laktamasen mit erweitertem Wirkungsbereich). Nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch bei Tieren sind diese Erreger bereits nachgewiesen worden. Dabei kann es sich um harmlose Darmbakterien, aber auch um krankmachende Keime handeln. Da ESBL-bildende Bakterien auch in Nutztierbeständen nachgewiesen wurden, ist eine Infektion von Menschen mit ESBL-bildenden Erregern über Lebensmittel nach Ansicht des BfR möglich. Wie bedeutend der Beitrag der Infektionsquellen Lebensmittel, Nutz- und Haustiere sowie der Bereich Nutztierbestände in der Landwirtschaft für die ESBL-Problematik bei Erkrankungen des Menschen ist, lässt sich aus den bisher vorliegenden Daten nicht abschätzen. Aus den vorliegenden molekularbiologischen Erkenntnissen ist aber bereits jetzt abzuleiten, dass ein Gesundheitsrisiko für den Menschen von ESBL-bildender Bakterien aus der Tierhaltung besteht. Eine besondere Problematik liegt in der Übertragbarkeit der Gene für die Antibiotikaresistenz zwischen verschiedenen Bakteriengruppen. Resistenzgene, die über harmlose Darmbewohner in den Darm des Menschen gelangen, können dort auf andere Keime übertragen werden, die dann im Falle von Infektionen schwerer zu behandeln sind.
In Rahmen des Zoonosen-Monitoring 2009 waren auf 22,3 Prozent der Hähnchenfleischproben und auf 42,2 Prozent der Putenfleischproben MRSA nachgewiesen worden. Auch Fleisch von Schweinen (15,8 Prozent) und Kälbern (12,9 Prozent) war mit MRSA belastet. Von den untersuchten E. coli Keimen und Salmonellen vom Hähnchenfleisch waren ca. 5 bis 6 Prozent resistent gegen Cephalosporine, ein Befund, der meist auf die Bildung von ESBLs zurückzuführen ist. Auch in früheren Untersuchungen des BfR war bereits mehrfach auf das Vorkommen von resistenten Keimen, insbesondere Salmonellen, im Fleisch hingewiesen worden.
Die Keime auf dem Fleisch stammen überwiegend aus der Tierhaltung. Hier werden seit einigen Jahren im Rahmen von Untersuchungen in den Beständen von den zuständigen Behörden der Bundesländer MRSA und zunehmend auch ESBL verdächtige E. coli und Salmonellen nachgewiesen. Diese können während der Schlachtung vom Tier auf das Fleisch übertragen werden.
Das BfR begrüßt das Maßnahmenpaket, das von Bundesministerin Aigner vorgestellt wurde und empfiehlt die Anwendung von Antibiotika, insbesondere von Antibiotika mit besonderer Bedeutung für die Humanmedizin, in der Tierproduktion kritisch zu hinterfragen. Haltung und Management der Tierbestände müssen so verbessert werden, dass die Tiere gesund bleiben und eine Behandlung nicht erforderlich ist. Die Methoden der Schlachtung müssen so weiterentwickelt werden, dass die Übertragung von Keimen von den Tieren auf die Lebensmittel verringert wird. Den Verbrauchern empfiehlt das BfR, Fleisch nur gut durcherhitzt zu verzehren und durch Beachtung der Regeln der Küchenhygiene eine Übertragung von Keimen auf andere Lebensmittel zu verhindern.
Quelle: Lausitzer Rundschau (ots) / Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)