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foodwatch kritisiert geplante Nährwert-Ampel der Lebensmittelindustrie: Selbst bei Nutella zeigt Industrie-Ampel nicht Rot

Archivmeldung vom 13.01.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.01.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Wenn es nach der Zuckerindustrie geht, hat nichtmal Nutela rote Warnzeichen
Wenn es nach der Zuckerindustrie geht, hat nichtmal Nutela rote Warnzeichen

Bild: Foodwatch.org

Die Verbraucherorganisation foodwatch hat die Pläne von sechs großen Lebensmittelkonzernen für eine eigene EU-weite Nährwert-Ampel scharf kritisiert. Das unter anderem von Nestlé und Coca-Cola vorgeschlagene System, das auf der Vorderseite der Verpackung den Gehalt der wichtigsten Nährwerte in Ampelfarben zeigen soll, habe viel zu lasche Kriterien und sei irreführend: Selbst bei Süßigkeiten wie Nutella, das zu rund 90 Prozent aus Zucker und Fett besteht, oder fettig-salzigen Snacks wie Tuc-Crackern würde die Ampel nicht auf Rot springen. Das ist das Ergebnis eines Ampel-Vergleichstests der Verbraucherorganisation.

„Was für ein fieses Lobby-Manöver: Nestlé, Coke & Co. kapern die eigentlich sinnvolle Idee einer verbraucherfreundlichen Nährwertkennzeichnung und führen sie mit ihrer Pseudo-Ampel ad absurdum: Anstatt Zuckerbomben und fettige Snacks zu entlarven, lässt die Industrie-Ampel die Produkte gesünder aussehen, als sie es in Wahrheit sind. Das darf nicht zum europäischen Standard werden“, kritisierte Oliver Huizinga, Leiter Recherche und Kampagnen bei foodwatch. Die Verbraucherorganisation forderte eine EU-weit verpflichtende Nährwertkennzeichnung in Ampelfarben auf der Verpackungsvorderseite. Die Kriterien sollten jedoch nicht von der Industrie selbst, sondern von unabhängigen Expertinnen und Experten bestimmt werden.

Die Lebensmittelkonzerne Coca-Cola, Mars, Mondelez, Nestlé, PepsiCo und Unilever hatten kürzlich ihre genauen Pläne für eine eigene Nährwert-Ampel vorgestellt. Im Gegensatz zu dem erstmals 2007 von der britischen Lebensmittelbehörde FSA konzipierten Original-Ampelsystem zeigt die Industrie-Kennzeichnung allerdings deutlich weniger rote Ampeln. Selbst eine Süßigkeit wie Nutella von Ferrero würde keine rote Ampel erhalten. Mit dem System der FSA bekäme Nutella hingegen drei rote Ampeln, die auf einen hohen Gehalt an Fett, gesättigten Fettsäuren und Zucker hinweisen. Auch Tuc-Cracker des Herstellers Mondelez hätten mit dem Industrie-Modell statt zwei überhaupt keine rote Ampel. Ähnlich bei den Nesquik-Frühstücksflocken von Nestlé: Auch hier würde durch das Modell der großen Lebensmittelkonzerne die rote Ampel für den hohen Zuckergehalt verschwinden. Weitere Produktbeispiele wie Chips und Schokoriegel zeigt foodwatch in einem Recherchedokument und einer Fotostrecke.

Grund für die geringere Anzahl roter Ampeln ist ein Trick: Die Originalampel der FSA berechnet die Ampelfarbe auf Grundlage von einheitlich 100 Gramm. Sie springt zum Beispiel beim Zuckergehalt auf Rot, sobald ein Produkt mehr als 15 Prozent Zucker enthält. Im Gegensatz dazu berechnet die Industrie-Ampel die Farbgebung auf Basis von Portionsgrößen. Bei allen Portionen bis zu 60 Gramm zeigt die Industrie-Ampel erst dann Rot, wenn mehr als 13,5 Gramm Zucker in einer Portion enthalten sind. Bei Frühstücksflocken mit einer 40-Gramm-Portion ist dies erst bei einem Zuckergehalt von mehr als 33,7 Prozent der Fall. Bei dem Industriemodell muss also in Frühstücksflocken mehr als doppelt so viel Zucker enthalten sein wie beim Originalmodell, bevor die Ampel auf Rot springt. Ein süßer Brotaufstrich wie Nutella mit einer vorgesehenen Portionsgröße von 15 Gramm müsste demnach zu mehr als 90 Prozent aus Zucker bestehen, damit die Ampel Rot zeigt.

Noch im Jahr 2010 verhinderte die Lebensmittelwirtschaft infolge einer beispiellosen Lobbykampagne erfolgreich eine EU-weit verbindliche Ampelkennzeichnung für den Nährwertgehalt bei verarbeiteten Lebensmitteln. Ärzteverbände, Krankenkassen und Verbraucherorganisationen forderten damals die Umsetzung des Modells der britischen FSA: Für jedes Produkt sollte der Gehalt an den wichtigsten Nährwerten (Fett, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz) in absoluten Grammzahlen angegeben werden – und zwar einheitlich pro 100 Gramm bzw. 100 Milliliter. Zur Orientierung sollte jeder dieser vier Werte mit einer der bekannten Signalfarben Rot, Gelb und Grün hinterlegt werden. Die Industrie entwarf hingegen für die Verpackungsvorderseite ein eigenes, sogenanntes GDA-Modell (Guideline Daily Amounts), das oft auf unrealistisch kleinen Portionsgrößen basiert und in Prozentangaben Anteile am selbstgewählten "Richtwert für die Tageszufuhr" für verschiedene Nährwerte angibt. Das Europäische Parlament stimmte 2010 gegen die Einführung der Ampelkennzeichnung und übernahm das GDA-Modell der Industrie. Mittlerweile haben jedoch zwei EU-Länder, Frankreich und Großbritannien, eine farbige Nährwertkennzeichnung auf freiwilliger Basis eingeführt.  

„Die Lebensmittelwirtschaft steht massiv unter Druck: Immer mehr Regierungen nehmen die Lebensmittelfirmen mit gesetzlichen Vorgaben in die Pflicht, um der Fettleibigkeits-Epidemie etwas entgegen zu setzen. Dass die großen Konzerne nun eine Pseudo-Ampel aus dem Boden stampfen, ist der dreiste Versuch, eine wirklich verbraucherfreundliche Nährwert-Kennzeichnung zu verhindern. Mit ihrer neuen Initiative präsentieren sich die Lebensmittelriesen als Teil der Lösung – doch in Wahrheit sind sie Kern des Problems“, erklärte Oliver Huizinga von foodwatch. 

Seit Ende 2016 gilt für alle verpackten Lebensmittel in der EU eine Pflicht zur Kennzeichnung der Nährwerte Fett, gesättigte Fette, Kohlenhydrate, Zucker, Eiweiß und Salz. Außerdem muss über den Energiegehalt informiert werden. Die Angaben müssen sich jeweils auf 100 Gramm bzw. Milliliter beziehen. Diese Angabe darf allerdings im Kleingedruckten auf der Rückseite der Verpackung erfolgen.

Quelle: foodwatch.org

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