foodwatch gegen die "heimliche" Verwendung umstrittener Zusatzstoffe in der Gastronomie
Archivmeldung vom 07.05.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.05.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWer kennt das nicht? Sie möchten mal wieder etwas richtig Feines essen und beschließen, sich in einem Restaurant verwöhnen zu lassen. Sie haben einen Tisch bestellt und freuen sich auf einen gelungenen Abend. Leider müssen Sie bald feststellen, dass das Essen geschmacklich nicht Ihre Erwartungen erfüllt und fragen sich, woran das liegt. Hat der Koch einen schlechten Tag? Sind Sie zu anspruchsvoll, oder was ist es?
Mögliche Erklärungen gibt es viele, aber auf die wahrscheinlichste kommen die meisten nicht: Der Koch hat gar nicht selbst gekocht, sondern kochen lassen. Und zwar nicht von seinem Auszubildenden, sondern von der Industrie! „Das kann ja gar nicht sein“, wollen Sie sagen, wenn Sie zum Beispiel in einer Landgaststätte 22 € für ein Rehragout mit Eierschwammerln und Kartoffelpüree bezahlen? Oder wenn Sie nach der Hauptspeise noch einmal tiefer in die Tasche greifen und ein erlesenes Dessert namens „Mousse Cassis“ bestellen?
Doch leider „kann es nicht nur sein“, sondern ist gängige Praxis. Denn die Verwendung von Fertigprodukten muss in der Gastronomie nicht gekennzeichnet werden. So kommt es, dass sich hinter den phantasievollsten Bezeichnungen auf der Speisekarte oft Industrieerzeugnisse verbergen!
Nehmen wir die lecker anmutende „Mousse Cassis“. Auf der speziell für die Gastronomie zugeschnittenen Internetseite von Nestlé wird dem „Chef de Cuisine“ minutiös erklärt, wie das Dessert herzustellen ist, nämlich: Milch in ein Gefäß geben, Pulver dazu und ½ Minute glattrühren. Dann „mit einer Anschlagmaschine ca. 5 Minuten auf höchster Stufe aufschlagen“. Eine Stunde kaltstellen und fertig ist das vortreffliche Dessert. Als besonderer Produktvorteil wird hervorgehoben, dass in der Nestlé-Rezeptur keine „deklarierungspflichtigen Zusatzstoffe auf der Speisekarte“ enthalten sind! Dafür sind allerdings alle möglichen unappetitlichen, aber nicht deklarierungspflichtigen Zusatzstoffe- von E 472b über Rindergelatine bis Xanthan – sowie Aromen in dem Chemiepudding drin!
Oder das Kartoffelpüree „PÜRELL“ von Nestlé, dessen Besonderheit laut Internetseite darin besteht, eine „Wärmestabilität von mehr als 4 Stunden“(!) aufzuweisen. Gar nicht zu reden von der „“Knorr Gemüse Bouillon pastös“ mit „vollem, ausgeprägtem Gemüsegeschmack“, die in Wahrheit hauptsächlich aus Salz und Geschmacksverstärker mit einem Schuss Aroma zu ganzen 6% aus Gemüse besteht.
Auf den Seiten der einschlägigen Hersteller von Knorr/Unilever bis Nestlé/Maggi finden sich hunderte solcher Produkte und ebenso hunderte von Rezeptvorschlägen. Es ist also keine Frage, dass diese Produkte von der Gastronomie auch verwendet werden. Weil die meisten Menschen, die in einem Restaurant essen gehen, das in dem guten Glauben tun, auf ihrem Teller etwas frisch Zubereitetes zu finden, halten wir die ungekennzeichnete Verwendung von Fertigprodukten in der Gastronomie für eine grobe Verbrauchertäuschung. Besonders weil die Kennzeichnungsregeln für die Gastronomie extrem lasch sind.
Verbrauchern immerhin einen Eindruck über die Inhaltsstoffe ermöglicht,erfährt man im Restaurant in vielen Fällen gar nicht, welche Aromen und Zusatzstoffe im Essen stecken. Letztere müssen nur mit einem Oberbegriff wie „Konservierungsstoff“ angegeben werden. Um welchen Zusatzstoff es sich konkret handelt, erfahren Verbraucher nicht. Und: Selbst diese wenig hilfreiche Kennzeichnung gilt nicht für alle Zusatzstoffe.
Deshalb fordert foodwatch, dass die Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel in der Gastronomie an die Vorgaben für verpackte Lebensmittel angepasst werden und dass in Restaurants und Kantinen eine vollständige Zutatenliste aller Gerichte inklusive aller verwendeten Zusatzstoffe gut sichtbar aushängt oder auf Nachfrage für den Gast einsehbar sind. Werden in der Gastronomie Convenience-Produkte verwendet, muss die komplette Zutatenliste in der Speisekarte wiedergegeben werden.
Um diese Forderungen durchsetzen zu können, muss noch viel Vorarbeit geleistet werden, schreibt foodwatch und bittet um Unterstützung. foodwatch richtet sich mit folgendem Appell an sie: "Helfen Sie Förderer/Förderin uns dabei, indem Sie von foodwatch werden und setzen Sie gemeinsam die Politik unter Druck. Helfen Sie uns dabei, nicht nur die Lebensmittelindustrie, sondern auch die Restaurantbesitzer zu mehr Ehrlichkeit zu zwingen. Werden Sie Förderer/Förderin von foodwatch. Denn wir von foodwatch werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass auch auf den Speisekarten in Restaurants endlich zu erkennen ist, ob selbst gekocht wurde oder industriell vorproduzierte Produkte eingesetzt wurden. Natürlich ist dies nicht umsonst zu haben. Wir produzieren regelmäßig Informationsmaterial, aktualisieren ständig unseren Internetauftritt, organisieren Protestaktionen. Wir recherchieren, führen Gespräche mit unterschiedlichen Interessenvertretern, geben juristische Gutachten und Laboranalysen in Auftrag."
Quelle: foodwatch e.V.