Die 10 irrsinnigsten Lebensmittel-Gesetze: Warum Unternehmen besser geschützt sind als Verbraucher
Archivmeldung vom 11.04.2014
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.04.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Doris OppertshäuserGiftpanscher bleiben straffrei, riskante Schlachtabfälle werden mit farblosen Farben markiert: Das Lebensmittelrecht in Deutschland und der EU schützt die Interessen der Unternehmen oft besser als die der Verbraucher. Das belegt exemplarisch eine Liste der zehn verheerendsten Gesetze, die die Verbraucherorganisation foodwatch heute veröffentlicht hat.
"Wer solche Gesetze verabschiedet, schadet nicht nur den Verbrauchern, sondern auch der Demokratie", erklärte foodwatch-Sprecher Martin Rücker. "Sie sind entweder handwerklich lausig gemacht oder bieten absichtsvoll so wahnwitzig große Schlupflöcher für Betrug und Täuschung, dass sich der Verdacht aufdrängt: Die Lobbyisten der Industrie haben diese Gesetze selbst geschrieben."
Die Liste der 10 irrsinnigsten Gesetze:
1. Wirkungslose Abstandsregeln für Gentechnik-Felder: Verbrauchern und Bauern sollen bei Gentechnik Wahlfreiheit haben. Deshalb gibt es Mindestabstände zwischen Feldern mit und ohne genveränderte Pflanzen. Das sind, je nach Land, mal 150, mal 500 Meter. Eine Rechnung, die ohne die Bienen gemacht wurde: Die fliegen mehrere Kilometer weit und tragen genveränderte Pollen so unbeeindruckt weiter.
2. Je mehr Dioxin da ist, umso mehr wird erlaubt: Zum Schutz der Verbraucher gibt es Dioxin-Grenzwerte. Deren Höhe richtet sich jedoch nicht in erster Linie danach, wie viel Gift gesundheitlich vertretbar ist - sondern danach, wie hoch Lebensmittel tatsächlich belastet sind. Enthält ein Produkt (wie Fischöl oder -leber von Ostseefischen) besonders viel Dioxin, wird der Grenzwert raufgesetzt, damit genügend Ware auf den Markt gelangt.
3. Azo-Farbstoffe: Warnhinweise nur im Kleingedruckten: So genannte Azo-Farbstoffe machen vor allem Süßigkeiten oder Eis knallig bunt, sie stehen jedoch im Verdacht, das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) auszulösen. Darauf hat die EU reagiert - nicht jedoch mit einem Verbot, obwohl es genügend andere, unbedenkliche Farbstoffe gibt. Sie schreibt lediglich einen versteckten Mini-Warnhinweis im Kleingedruckten vor: Wer den nicht sieht, hat Pech gehabt.
4. Zucker-Empfehlungen direkt von der Industrie: Der menschliche Körper ist nicht auf die Aufnahme von Zucker angewiesen, er bildet ihn aus Kohlenhydraten selbst. Die EU macht es dennoch möglich, dass Lebensmittelhersteller einem Erwachsenen die Aufnahme von 90 Gramm Zucker am Tag als "empfohlene Tageszufuhr" oder "Richtwert" auf den Verpackungen empfehlen. Der Wert kommt jedoch nicht etwa von der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA oder anderen wissenschaftlichen Einrichtungen, sondern direkt vom europäischen Lobbyverband der Lebensmittelindustrie, damals unter dem Namen CIAA: Die EU hat ihn einfach ins Gesetz geschrieben. Ein Antrag, die Werte wissenschaftlich erst einmal überprüfen zu lassen, fand im Europaparlament 2011 keine Mehrheit.
5. Uran-Limits für Leitungswasser, aber nicht für Mineralwasser: Natürliche Uranvorkommen belasten in manchen Regionen das Grundwasser - das giftige Schwermetall kann lebenswichtige Organe wie die Nieren schädigen. Die Bundesregierung hat daher 2011 einen Grenzwert eingeführt. Der gilt allerdings nur Trinkwasser, nicht für Mineralwasser. Der Unterschied zwischen Wasser aus dem Hahn und Wasser aus der Flasche: Für Mineralwasser ist nicht das Gesundheits-, sondern das Agrarministerium zuständig.
6. Zusatzstoff-Kennzeichnung im Supermarkt, aber nicht im Restaurant: Bei verpackten Lebensmitteln weist die Zutatenliste alle eingesetzten Zusatzstoffe ("E-Nummern") aus. In der Gastronomie jedoch müssen viele Zusatzstoffe nicht genannt werden - zum Beispiel das umstrittene Phosphat (E450). Wer im Restaurant isst, ist Verbraucher zweiter Klasse.
7. Lückenhafte Dioxintests: Nach dem Dioxin-Skandal 2011 kündigte die Bundesregierung an, Futtermittelherstellern "eine systematische [...] Eingangsuntersuchung auf Dioxine" und andere unerwünschte Stoffe vorzuschreiben. Heraus kam eine EU-Verordnung, nach der allerdings nur Fette und Öle auf Dioxin getestet werden müssen, andere Futter-Zutaten nicht. Und die nur eine Stichprobe pro 1000 Tonnen (!) vorschreibt - das heißt: In einem Konvoi von 50 Lastwagen wird eine einzige Probe gezogen. "Systematische" Tests? Die stehen im Aktionsplan der Bundesregierung, aber nicht im Gesetz.
8. Farblose Farbe zum Markieren riskanter Schlachtabfälle: Infolge von BSE muss potenziell gefährliches Tiermehl eingefärbt werden, damit es nicht wieder in die Nahrungskette gelangen kann. Doch die EU-Gesetze erlauben es, riskante Schlachtabfälle allein mit der Chemikalie GTH zu markieren - deren Eigenschaft: Sie ist farb- und geruchlos, kann nur im Labor nachgewiesen werden. Dem Betrug sind damit Tür und Tor geöffnet.
9. Gesundheitsinformationen erst auf Anfrage: Behörden in Deutschland wissen, wie stark Chips mit Acrylamid oder Mineralwasser mit Uran belastet ist. Uns Verbrauchern verraten sie das meistens nicht. Es sei denn, wir fragen nach. Das Verbraucherinformationsgesetz regelt inzwischen, dass auf Antrag Zugang zu solchen Informationen gewährt wird. Das Problem: Verbraucher müssen erst einmal wissen, was die Behörden wissen, damit sie danach fragen können. Denn die "Verbraucherinformation" geht laut Gesetz nicht so weit, dass die Behörden solche Informationen von sich aus weitergeben müssen.
10. Straffreiheit für Giftmischer: Ein Futtermittelhersteller geht straffrei aus, wenn er den Behörden meldet, dass Gift in seinem Tierfutter steckt - eine Frist für die Meldung gibt es nicht. Die Folge: Weiß ein Unternehmen, dass seine Futtermittel giftbelastet sind, kann es das Futter trotzdem erst einmal verkaufen und später - wenn das Gift längst verfüttert ist und Eier oder Fleisch belastet - Selbstanzeige erstatten: Strafrechtlich hat das Unternehmen nichts zu befürchten. Denn es gilt ein "Verwendungsverbot": Die Informationen aus der Selbstanzeige dürfen nicht gegen das Unternehmen verwendet werden. Die Staatsanwälte dürfen nicht einmal ermitteln. Anders als bei Selbstanzeigen von Steuersündern - wie im Fall Uli Hoeneß diskutiert - gibt es keine formalen Anforderungen an die Selbstanzeige.
foodwatch-Sprecher Martin Rücker: "Lebensmittel waren noch nie so sicher wie heute, das wiederholen Industrie und Politiker mantra-artig. Ein Blick auf die teils hoffnungslos absurde Gesetzgebungspraxis zeigt, dass es eine Vielzahl von Risiken gibt, die leicht vermieden werden können."
Link: - Die Liste der 20 irrsinnigsten Gesetze als pdf-Datei: http://bit.ly/1hxCBAM
Quelle: foodwatch e.V. (ots)