Digitale Verhaltensbeeinflussung ist mit Gefahren verbunden
Archivmeldung vom 15.09.2018
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDie Widerspruchslösung bei der Organspende und die Einstellungen bei Apps sind aktuelle Beispiele dafür, wie das Verhalten beeinflusst und BürgerInnen in eine bestimmte Richtung geschubst werden – das sogenannte Nudging. Eine Studie zeigt die Konsequenzen dieser Beeinflussung und schlägt ein öffentliches Nudge-Register für mehr Transparenz vor.
Ein Klick in der App und alle persönlichen Daten sind freigegeben. Will man sie allerdings richtig schützen, braucht es meist viel mehr Aufwand. Das ist ein bekanntes Instrument der digitalen Verhaltensbeeinflussung. In einer aktuellen Studie des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), die im Auftrag des Projektes ABIDA (Assessing Big Data) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entstanden ist, zeigen die Forscher, dass App-Designer und Plattformbetreiber deutlich mehr Möglichkeiten der Beeinflussung durch große Datenmengen haben. Mit dem Einsatz solcher Beeinflussungsinstrumente, schlussfolgert die Studie, seien erhebliche Gefahren für individuelle sowie gesellschaftliche Werte verbunden: Unter anderem berühre Nudging die Würde und Autonomie des Individuums und untergrabe die Solidargemeinschaft durch Individualisierung. Es drohe eine verstärkte Diskriminierung bereits benachteiligter Gruppen wie Kinder oder Menschen mit Behinderung.
Die Autoren der Studie Max von Grafenstein, Julian Hölzel, Florian Irgmaier und Jörg Pohle untersuchten zahlreiche Apps und Technologien, die Big-Data-gestützte Instrumente zum Nudging (engl. Anstupsen) einsetzen. Ein Beispiel dafür sind die oft genutzten Default-Einstellungen bei Apps. So ist es zwar einfach, bei Fragen nach Datenschutzeinstellungen zuzustimmen, oft ist jedoch die Ablehnung mit viel größerem Aufwand durch mehrmaliges Klicken verbunden. Klarer Fall für die Forscher: Nein-Sager werden hier potenziell benachteiligt ohne es zu wissen. Hinzu kommt, dass die derzeitige Technologie erlaubt, die Einstellungen auf Situation und Person automatisch zuzuschneiden. Beispielsweise nutzt Nudgr, ein durch lernende Algorithmen unterstütztes Instrument, persönliche Kundendaten wie die Bewegung der Maus über das Browserfenster, um KundInnen möglichst lange auf den Webseiten von Online-Shops zu halten. So zeigt sich, dass die Verhaltensbeeinflussung durch große Datenmengen neu skaliert: „Das analytische Potenzial von Online-Verhaltensbeeinflussung ist gewachsen sowie auch die Möglichkeit, Nudging stärker zu individualisieren und zu automatisieren“, erklärt Dr. Jörg Pohle, Ko-Autor der Studie und Forschungsprogrammleiter am HIIG.
Darum ist eine der Forderungen der Studie, den Plattformbetreibern und App-Entwicklern genauer auf die Finger zu schauen. Julian Hölzel, Ko-Autor der Studie erklärt: „Unsere Auseinandersetzung mit zahlreichen Beeinflussungsinstrumenten hat gezeigt, dass es mehr Publizität braucht. Beispielsweise empfehlen wir ein Nudge-Register.” Ein solches Nudge-Register sollte öffentlich im Internet einsehbar sein, um die momentan eingesetzten Instrumente zur Verhaltensbeeinflussung sowie der Art und Weise, in der diese operieren, offenzulegen. Des Weiteren empfiehlt die Studie, dass ein Nudge-Sachverständigenrat bereichsübergreifende Expertise für eine informierte Debatte entwickelt und Kinder und Jugendliche Angebote erhalten, die sie über Online-Verhaltensbeeinflussung informieren und aufklären. Von der Umsetzung dieser Empfehlungen erhoffen sich die Forscher eine umfassendere Auseinandersetzung der Politik und Gesellschaft mit den Konsequenzen des Big-Data-Nudging.
Die Studie ist online frei verfügbar. Sie wurde als Teil des ABIDA-Projektes (Assessing Big Data) vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) umgesetzt. Das ABIDA-Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Quelle: Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (idw)