Das Passwort der anderen Art: Schädelknochen liefert digitalen Zugangscode
Archivmeldung vom 12.05.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAuf Laptops und Smartphones speichern und organisieren Menschen inzwischen ihr gesamtes Leben – geschützt durch ein Passwort oder eine Geheimnummer. Diese sind jedoch oft nicht sicher, da Nutzer sie falsch wählen oder schlecht aufbewahren. Mit so genannten biometrischen Merkmalen wie Fingerabdruck, Stimme oder Iris kann man sich heute schon einfacher und sicherer ausweisen. Informatiker der Universität des Saarlandes und der Universität Stuttgart setzen nun auf ein bisher ungenutztes biometrisches Merkmal, das bei Brillencomputern wie Google Glass angewendet werden kann: Der Schädelknochen des Anwenders liefert den digitalen Zugangscode. Das Verfahren könnte auch Smartphones absichern.
„Brillencomputer wie Google Glass finden insbesondere in Unternehmen und Universitäten ihren Einsatz: Sie helfen bei Physik-Experimenten, in Chemie-Laboren, zeichnen medizinische Untersuchungen auf und unterstützen Kinderärzte während Operationen“, sagt Andreas Bulling vom Exzellenzcluster für „Multimodal Computing and Interaction“ an der Universität des Saarlandes. Dort leitet der 35 Jahre alte Informatiker die Gruppe „Perceptual User Interfaces“ und forscht außerdem am benachbarten Max-Planck-Institut für Informatik. „Die Nutzer haben bei diesen Anwendungen nicht die Hände frei, um umständlich ein Passwort einzugeben. Außerdem teilen sich oft mehrere Personen ein Gerät und speichern darauf sensible Daten ab“, erklärt Bulling. Nicht nur die Daten, auch die Brillencomputer selbst lassen sich leicht stehlen. Dies bestätigt eine Studie des Branchenverbandes Bitkom aus dem vergangenen Jahr. 28 Prozent der 1074 befragten Sicherheitsexperten aus Unternehmen geben an, dass in den vergangenen zwei Jahren Geräte auf diese Art und Weise samt den darauf gespeicherten Daten verschwunden sind.
Um im Falle eines Diebstahls den Zugang zu Google Glass zu schützen und den rechtmäßigen Nutzer zu erkennen, haben Andreas Bulling und Youssef Oualil von der Universität des Saarlandes zusammen mit Stefan Schneegass von der Universität Stuttgart eine neue Methode entwickelt. Dabei nutzten die Forscher auf geschickte Art und Weise die Sensoren, über die der Brillencomputer ohnehin verfügt. Neben dem Miniatur-Mikrofon ist dies der sogenannte Bone Conduction Speaker, der unsichtbar in das Gestell in der Nähe des rechten Ohrbügels eingelassen ist. Mit Hilfe der „Knochenleitung“, auch Knochenschall genannt, überträgt er Töne auf die gleiche Art und Weise zum Ohr, wie es spezielle Hörgeräte tun. Dazu leitet er Schallschwingungen über den das Ohr umgebenden Schädelknochen direkt an das Innenohr.
„Da der Schädelknochen individuell unterschiedlich ist, wird dabei das Tonsignal auf eine für jeden Menschen charakteristische Art und Weise verändert. Das aus dem Schädelknochen austretende Tonsignal nutzen wir dann als biometrisches Merkmal“, erläutert Bulling. Dazu lassen die Forscher den Knochenschall-Lautsprecher ein Signal abspielen, das ein breites Frequenzspektrum abdeckt. Das durch den Schädelknochen veränderte Audiosignal nehmen sie dann mit dem in der Brille integrierten Mikrofon auf. „Aus dieser Aufnahme extrahieren wir mit zwei speziellen Rechenverfahren die Identifikationsmerkmale und setzen diese zu einer Art digitalem Fingerabdruck zusammen. Dieser ist charakteristisch für jede Person und wird dann abgespeichert“, sagt Bulling. Setzt von nun an jemand den Brillencomputer auf, startet der Vorgang automatisch. Das Signal schallt durch den Schädel, das Mikrofon nimmt es auf. Passt der aktuelle Audio-Fingerabdruck zu dem abgespeicherten, bekommt die Person Zugriff auf die Brille.
„Es reicht, wenn das Signal eine Sekunde lang abgespielt wird. Damit sind wir gut eine halbe Sekunde schneller als klassische, nicht-biometrische Verfahren, die auf mobilen Endgeräten den rechtmäßigen Nutzer erkennen“, sagt Bulling. „Der entscheidende Vorteil des Verfahrens ist jedoch“, so Bulling weiter, „dass die Erkennung des Nutzers in Zukunft auch implizit stattfinden könnte, beispielsweise mittels der Töne, die das Gerät ohnehin als Feedback für den Nutzer abspielt.“ Zusammen mit seinen Kollegen hat er das auf den Namen „SkullConduct“ getaufte Verfahren an zehn Personen getestet. Diese wurden dabei mit einer Genauigkeit von 97 Prozent erkannt. „Allerdings haben wir diese ersten Tests noch in einem Raum ohne Hintergrundgeräusche durchgeführt“, erklärt Bulling. Details zum System berichten die Forscher auf der gerade stattfindenden Konferenz „Human Factors in Computing Systems (CHI)“ in Kalifornien und beschreiben diese in der dort angenommenen Forschungsarbeit „SkullConduct: Biometric User Identification on Eyewear Computers Using Bone Conduction Through the Skull“.
Als nächstes will der Saarbrücker Informatiker gemeinsam mit seinen Kollegen untersuchen, ob ihre Methode auch im Alltag funktioniert. Sie wollen auch den Frequenzbereich von Ultraschall untersuchen, der den Vorteil hätte, dass der Anwender das Signal nicht hören würde. Die Forscher können sich ihr Verfahren grundsätzlich auch am Smartphone vorstellen. „Wenn das Smartphone über einen entsprechend platzierten Knochenschalllautsprecher und ein Mikrofon verfügt und der Anwender es mit Knochenkontakt an seinen Schädel drückt, könnte es möglicherweise sogar mit dem normalen Klingelton des Smartphones funktionieren“, sagt Bulling.
Quelle: Universität des Saarlandes (idw)