Second Life als Flucht vorm realen Leben?
Archivmeldung vom 12.05.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn den letzten Jahren boomt die digitale Online-Welt, die es Nutzern ermöglicht, mittels 3D-Optik eine virtuelle Sphäre zu gestalten, in der gespielt, gehandelt oder auf vielfältigste Art kommuniziert wird. Das seit 2003 online verfügbare System Second Life hat inzwischen mehr als sechs Millionen registrierte Nutzer.
In einer Umfrage unter Leitung von Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg und seiner
wissenschaftlichen Mitarbeiterin Kathrin Jung haben Studenten der
Handelshochschule Leipzig 90 Avatare in der Second Life-Welt interviewt. Das
Hauptinteresse in der Befragung von durch reale Menschen erschaffene, grafisch
aufbereitete Personen in der virtuellen Welt, lag in den Fragen: Ist die
virtuelle Second Life-Welt noch schnelllebiger als die Realität? Wollen Menschen
aus der realen Welt flüchten? Warum gehen sie ins Second Life? Was tun sie dort?
Sind sie von ihrem realen Leben gelangweilt?
Internationale
Befragung
Fast 30% der Befragten verbringen mehr als 20 Stunden pro Woche
in der virtuellen Welt Second Life. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 29 Jahren
und unterscheidet sich damit nur geringfügig vom künstlichen Alter der Avatare,
das bei 27,5 Jahren liegt. Meist behalten die Befragten ihr reales Alter auch in
der virtuellen Welt bei. Wenn jedoch Unterschiede zu beobachten sind, zeigt
sich, dass Männer sich leicht älter machen und weibliche Personen sich um einige
Jahre verjüngen. Mehr als die Hälfte der Befragten verfügt über einen
Hochschulabschluss, Insgesamt konnten 78% der Interviews mit ausländischen
Avataren geführt werden. Dafür arbeiteten die Studenten oft nachts, um den
Zeitunterschied zu überbrücken. Schließlich gaben Personen von 20
unterschiedlichen Ländern Antwort auf die vorbreiteten Fragen. Die meisten
kommen aus Deutschland und den USA, gefolgt von Spanien und Frankreich.
Besonders spannend war die Frage nach der Persönlichkeit der Avatare.
Werden diese ähnlich dem realen Charakter gestaltet oder haben sie völlig andere
Merkmale? Hierbei zeigt sich ein geteiltes Antwortspektrum.
Ca. 19% der
Befragten stellen sich in der virtuellen Welt so dar, wie es Ihren Träumen und
Wünschen entspricht. Noch ein größerer Anteil gab an, sich im Second Life völlig
anders darzustellen, darunter fallen Phantasiefiguren als auch völlig
gegensätzliche und skurrile Figuren zur eigenen Person.
Motivation der
Nutzer von Second Life
Diese Erkenntnisse korrespondieren sehr gut mit
den Motivationsgründen für die Teilnahme an Second Life. Hierbei scheinen sich
drei Gruppen herauszukristallisieren. Zum einen jene, die gern ihrem realen
Leben entfliehen. Eine zweite Gruppe, die einfach gern mit anderen Leuten
kommuniziert und für die Second Life spannende neue Funktionalitäten bietet. Zum
Dritten scheint ein Teil der Personen, vornehmlich die Intension zu haben, zu
den bisher wenigen erfolgreichen Geldverdienern in der virtuellen Welt gehören
zu wollen. Gegenwärtig befindet sich dieser Motivationsgrund bei der Gesamtheit
der interviewten Personen jedoch noch auf einen unteren Rangplatz.
Die
meisten Interviewpartner geben an, dass sie in Second Life vor allem aktiv sind,
um Menschen von überall aus der Welt kennenzulernen. Ein relativ hohes Gewicht
fällt auch dem Ausleben der Kreativität in Second Life zu. Fast schein es, als
sei es ein Spiel für Erwachsene.
Langeweile und das Vergessen der realen
Welt ist für die meisten Befragten kein Beweggrund. Diesen Punkten wird
insgesamt am wenigsten zugestimmt. Second Life ist sie eher eine sich
entwickelnde faszinierende "Parallelwelt".
Zukünftig ist anzunehmen,
dass mit der verbesserten Funktionalität des Systems sowie gestiegener
technischer Voraussetzungen bei den Nutzern, die Anzahl an Second Life Bewohnern
drastisch zunehmen wird. In der aktuellen Studie sind heute jedoch bereits 67%
der Befragten zufrieden oder gar sehr zufrieden mit Second Life. Je länger sie
jedoch im System sind und je mehr sie Erfahrungen mit der Nutzung machen, je
höher sind ihre Erwartungen.
Second Life voll im Trend
Namhafte
Firmen investieren bereits heute weit über 100.000 Euro, um ihren Second Life
Auftritt zu kreieren. Auch von Privatpersonen ist zukünftig eine Second
Life-Flut zu erwarten und damit wird dem Handel deutlich mehr Schwergewicht
beigemessen werden als heute. Das ganze befindet sich sozusagen noch in den
Kinderschuhen. Gegenwärtig, gibt ca. ein Fünftel der befragten Personen an,
bisher noch nicht die durch reales Geld zu erwerbende virtuelle Währung `Linden
Dollars? ausgegeben zu haben.
Auf die Frage, welche Marken die Befragten
gern in Second Life sehen würden, herrschen erste wage Vorstellungen. Am meisten
wurden bekannte Luxusmarken wie Chanel, Ferrari oder Mercedes angeführt. Häufig
tauchten Unternehmen der Bekleidungsindustrie unter den Antworten auf.
Nun
steht der nächste Schritt der Auswertung der ersten Studie der HHL im Second
Life an. Es gilt nun, weiter ins Detail zu gehen. Wie unterscheiden sich Frauen
und Männer in Bezug auf ihr Verhalten im Second Life? Gibt es Gemeinsamkeiten
zwischen denen, die Second Life mehr als 20 Stunden in der Woche nutzen und
Nutzern, die sich dort nur gelegentlich aufhalten? Wird Second Life zu einer
ernst zu nehmenden Parallelwelt avancieren oder ist das ganze lediglich eine
temporäre Modeerscheinung? Die aktuellen Diskussionen zu diesem Thema können
intensiver nicht sein - egal ob innerhalb der Lehre, Forschung oder Praxis.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.