Kontinentalverschiebung in der IT-Technik
Archivmeldung vom 16.03.2007
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Freigeschaltet durch [email protected]In der IT-Technik wird China in zehn Jahren die Nummer eins sein. Deutschland liegt im unteren Mittelfeld. Wohin geht die Reise?
„Die weltweiten Kräfteverhältnisse werden sich nach unserem Experten-Panel, das zu knapp zwei Dritteln von Fachleuten aus der Industrie geprägt wurde, markant verschieben.“ Darauf wies Prof. Dr. Josef A. Nossek, VDE-Präsident und Lehrstuhlinhaber für Netzwerktheorie und Signalverarbeitung an der TU München jetzt hin. Seinen Angaben zufolge würden die USA heute noch den Ton angeben, in etwa zehn Jahren werde China aber die Führungsrolle übernehmen. Dann sehen unsere Experten Ostasien weit vorne, Deutschland bleibe unverändert im unteren Mittelfeld, prophezeite Nossek.
Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse, so Nossek, würden sich heute bereits abzeichnen. So lägen China und Indien mit 10 Prozent IKT-Wachstum weit vorne, während der weltweite Durchschnitt bei knapp 6 Prozent liege. In den USA liege das Wachstum zurzeit bei 5,6 Prozent, im EU-Durchschnitt bei 4,2 Prozent und in Deutschland bei 3 Prozent. Das prognostizierte Marktwachstum von jetzt 150 Milliarden auf 164 Milliarden Euro in Deutschland bis 2010 wäre zwar beachtlich, ist aber prozentual unterdurch¬schnittlich.
„Als Exportweltmeister darf uns ein Platz im unteren Mittelfeld nicht zufrieden stellen“, argumentierte der VDE-Präsident, der eine Akzent¬verschiebung in der deutschen Hightech-Strategie empfiehlt. Insbesondere die Next Generation Networks und das Zusammenwachsen von Mobil- und Festnetz müssten auch als Basis für Internet 3.0 vorangetrieben werden.
Große Zukunftschancen sieht Nossek in den Bereichen bei Future Internet, TeleHealth und RFID. Darüber hinaus sollte die Hightech-Strategie mehr Akzente auf eine themenorientierte Organisation der Forschungsförderung setzen und die internationale Organisation der IKT-Industrie stärker beachten. Denn Arbeitsplätze im IKT-Bereich in Deutschland könnten auch durch international erfolgreiche Unternehmen gesichert und geschaffen werden.
Sorgen bereitet Nossek der Expertenmangel, der sich auch an den vielen offenen Stellen im Job-Barometer des VDE ablesen lasse. „Dies ist ein ernstzunehmendes Problem für den Standort Deutschland“, führte Nossek weiter aus. Insbesondere Elektrotechnik und Informationstechnik-Ingenieure seien aufgrund ihrer technologie- und methodenorientierten Ausbildung stark gefragt und zunehmend im Mangel.
Diese Expertenlücke schwäche Wirtschaft und Innovationen und zunehmend auch Forschung und Lehre. Viele Ingenieure wechselten lieber in die Wirtschaft oder gleich das Land. Das hohe Niveau der Ingenieurausbildung in Deutschland könne daher nur gehalten werden, wenn es gelänge, industrieerfahrene Ingenieure der Elektrotechnik und Informationstechnik für die Hochschule zurückgewinnen. Deshalb fordere der VDE eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Hochschullehrer.
„Waschpulver kann mit reinem Marketing verkauft werden, in unserem Bereich geht es um Hightech und Innovation“, ergänzte Prof. Dr. A. Röder, Geschäftsführer O2 Germany sowie Vorsitzender der Informationstechnischen Gesellschaft im VDE und Mitglied des VDE-Präsidiums. Auf der technischen Seite werde deutlich, dass die Industrie ihr Augenmerk auf den Ausbau der mobilen Datenübertragung mittels HSDPA richtet. High Speed Downlink Packet Access zeige über das eigene Tempo hinaus die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung. Kaum ist UMTS verfügbar, stehe diese erste Aufrüstung an.
Zu den Megatrends bemerkte Röder, dass nach Überzeugung der großen Notebook-Hersteller die Datenübertragung mittels HSDPA schon in Kürze zur Standardausstattung ihrer Produkte gehören werde. Die Zahl der verkauften Handsets werde 2007 die Milliardengrenze überschreiten, und von den Handsets dürfte etwa die Hälfte auf Kamerahandys und ein Drittel auf „mobile video capable“ entfallen. Auf dem Vormarsch seinen Handsets der dritten Generation, sogenannte 3G-Geräte. „Wir haben also zwei parallele Entwicklungen, die Hand in Hand gehen“, so Röder. Das seien zum einen die rasanten Fortschritte bei der Datenübertragungs-Geschwindigkeit, zum anderen die Ausbreitung von passender Hardware auf dem Markt. Beides zusammengenommen ergebe eine Fülle von Möglichkeiten für die Nutzung mobiler Dienste.
Der Megatrend der kommenden Jahre seien aber nicht Verschiebungen zwischen Fest- und Mobilnetz, sondern ihre Konvergenz. „Das Verschmelzen von Fest- und Mobilfunknetzen mit dem Ziel, das Beste aus beiden Welten zusammenzuführen, ist das ganz große Thema“, versichert der Experte. Der Einzug von VoIP-Telefonie in die Mobiltelefonie – Smartphones und Dual Handy – werde weiter voran schreiten. Das stetig wachsende Interesse an der VoIP-Telefonie – insbesondere im privaten Bereich – sei auch eine der treibenden Kräfte für den ungebrochenen Boom bei DSL-Anschlüssen. Für Deutschland prognostiziert die Bundesnetzagentur mehr als 21 Millionen Breitbandzugänge bis 2010. Der nächste Schritt nach Voice-over-IP wird dann Video-over-IP heißen: Videokonferenzen über das Internet in TV-Qualität. „Die Welt wächst endgültig zu einem globalen Dorf zusammen – zumindest in der Telekommunikation“, lautet Röders Credo.
Autor: Dr. Rolf Froböse