Giftschlamm-Katastrophe war "vorhersehbar"
Archivmeldung vom 11.10.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach dem Dammbruch in der Bauxitfabrik in Ajka, bezeichnete die Umweltschutzorganisation WWF das Verhalten der Betreiberfirma als "grob fahrlässig". Insgesamt ergossen sich nach aktuellen Zahlen rund 700.000 Kubikmeter Giftschlamm aus dem Becken. Die Menge ist vergleichbar mit der Ölpest im Golf von Mexiko, wo über mehrere Monate hinweg insgesamt 757.000 Kubikmeter Öl ins Meer liefen.
Es besteht jedoch die große Gefahr, dass in Ungarn zusätzlich eine halbe Millionen Kubikmeter Giftschlamm austreten, da ein weiterer Damm des bereits geschädigten Absetzbeckens Risse zeigt. WWF-Experte Martin Geiger kritisiert, dass man die Bevölkerung bereits im Juni hätte evakuieren müssen. "Diese Katastrophe war vorhersehbar", sagte Geiger. Nach der Auswertung von Fotoaufnahmen aus dem Frühsommer 2010 durch den WWF war bekannt geworden, dass Becken und Damm bereits damals geschwächt waren. Noch dazu wurde die Dammkrone mit Fahrzeugen befahren. "Ich würde mit meinen Kinder dort nicht wohnen wollen"
Interview mit WWF-Experte Martin Geiger zur Giftschlammkatastrophe in Ungarn
Wo genau floss der Rotschlamm in die Donau?
Der Rotschlamm floss über den Fluss Marcal in die Raab und von dort in einen Nebenfluss der Donau mit Namen Moson in der Nähe des Ortes Györ.
Welche Gifte sind genau in dem Rotschlamm?
In dem Rotschlamm waren große Mengen ätzende Natronlauge enthalten. Weiter sind Eisen-, Titan und Aluminiumoxid im Bauxitschlamm. Gefährlich sind vor allem neben der Lauge die Schwermetalle Quecksilber und Chrom, und außerdem Arsen.
Wie viel Rotschlamm ist mittlerweile insgesamt ausgetreten?
Ursprünglich wurde von rund einer Million Kubikmeter Rotschlamm ausgegangen. Die aktuellen Zahlen liegen wohl etwas darunter, bei rund 700.000 Kubikmetern. Es besteht jedoch die große Gefahr, dass zusätzlich 500.000 Kubikmeter austreten, da ein weiterer Damm des bereits geschädigten Absetzbeckens Risse zeigt. Vergleichbare Unfälle, aber nicht mit Rotschlamm, geschahen in Baia Mare und Baia Borsa in Rumänien im Januar und März 2000. Also vor genau zehn Jahren. Damals wurde der Schlamm aus Goldverarbeitung mit hochgradig giftigem Cyaniden über Zuflüsse in die Donau gespült.
Hätte dieses Unglück vermieden werden können?
Diese Katastrophe war vorhersehbar. Bereits im Juni leckte das Becken und der Damm war geschwächt. Die Dammkrone wurde mit Fahrzeugen befahren, das ist grob fahrlässig. Die Bevölkerung hätte damals schon sofort evakuiert werden und eine Notdamm errichtet werden müssen. Das dies nicht geschehen ist, ist ein Skandal. Jetzt müssen schnellstmöglich die übrigen Becken in Ungarn untersucht werden. Wir brauchen außerdem Kontrollaufnahmen dieser Giftdeponien aus der Luft.
Wie schlimm ist das Gift für die Donau?
Der hohe pH-Wert des Schlamms ist durch die Verdünnung mit Wasser beim Zufluss in die Donau bereits deutlich gesunken und nicht mehr hochgefährlich. Die Schwermetalle Chrom und Quecksilber und das Arsen sind es jedoch weiterhin. Auch bei den Fischen und sonstigen Tieren der Donau werden diese Giftstoffe möglicherweise lange angereichert. Das Wasser der Donau wird auch von diesen Stoffen die Konzentration hoffentlich so stark verdünnen, dass sie nicht direkten Schaden anrichten. Der Fluss Raab und seine Sedimente werden aber über Jahre hinaus belastet sein, der Fluss Marcal ist ökologisch tot.
Wie ist die Situation in der Region rund um die Fabrik?
Ich würde mit meinen Kindern dort nicht wohnen wollen. Ich gehe auch davon aus, dass keiner der Eigentümer und Betreiber dort jemals wohnen würde. Der Boden ist verseucht, die Häuser sind kontaminiert und das Risiko unterhalb solcher Becken weiter zu leben ist viel zu hoch.
Quelle: WWF