Die schleichende Vermüllung der Meere
Archivmeldung vom 17.02.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Spülsaum der Meere, einst typisch vielfältig aus Resten von Algen und Muscheln, Holz, Vogelfedern und Seegras hat nichts mehr mit dem Strandgut von heute zu tun: Es besteht aus Zivilisationsmüll schlimmster Form, aus Verpackungen, Mobiliar, Garderobe, Unrat jeder Art, Plastik in jeder Form und Farbe und Metallschrott. Aber es kommt noch schlimmer:
Nach Untersuchungen vor der schwedischen Westküste wimmelt es im Meerwasser nur so von mikroskopisch kleinen Plastikteilchen. Sie stammen z.B. vom Abrieb von Tauen, Tampen und Netzen aus Fischerei und Schiffsverkehr. Zwischen 200 und 100 000 solcher Teilchen fanden Wissenschaftler in einem Kubikmeter Meerwasser bei Stichproben.
Was das bedeutet, kann man allenfalls ahnen. In jedem Fall aber sind die Mikroteilchen hochgiftig. Die Weltmeere verkommen zu einer gigantischen Mülldeponie. Und immer deutlicher wird, dass der menschliche Müll zur Todesfalle für unzählige Tiere wird. Meeressäuger, Schildkröten und tauchende Vögel, aber auch Fische, Wirbellose und Kleinlebewesen verfangen sich darin und sterben elendig. An einigen wenigen Stränden dieser Welt wird das Zeug wenigstens eingesammelt und vernichtet. Das aber ist die Ausnahme.
In den meisten Teilen der Welt ist man noch lange nicht so weit, die Errungenschaften menschlicher Zivilisation wenigstens zu entsorgen. Im Prinzip gilt seit 1989 ein weltweites Verbot, Plastik-Schiffsmüll ins Meer zu verbringen. Doch das kümmert kaum jemanden. Das Meer ist groß und unüberschaubar. Weltweit, davon geht das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) aus, kommen auf einen Quadratkilometer Ozean 18 000 Teile Plastikmüll. Davon sinken rund 70% früher oder später auf den Meeresboden, der Rest wird von den Meeresströmungen erfasst und dort zusammengeführt, wo sich die Strömung zentriert. Ein solcher hot spot für „Müllströme“ liegt z.B. im Nordostpazifik aber auch im Nordatlantik und im Indischen Ozean gibt es solche Müllströme.
Der Hauptmüllanteil ist Plastik. Dabei hat das Plastikzeitalter erst nach dem 2. Weltkrieg begonnen. Auf den Inseln im Indischen Ozean werden fast drei Millionen Tonnen Müll pro Jahr produziert, von denen nur etwa 30% eingesammelt und vernichtet werden. Das meiste verliert sich im Meer – und wird zum Umweltproblem Nr.1.
Etwa 80% des Mülls im Meer stammen vom Festland und werden z.B. über Flüsse in die Ozeane verfrachtet. Der Rest stammt von Standorten im Meer, wie Schiffen. In der Karibik erzeugen 35 Millionen Touristen allein auf Kreuzfahrtschiffen jährlich 700 000 Tonnen Müll, der zum Großteil an die Strände – und ins Meer – gelangt. Es fehlt an Sammeleinrichtungen und Vernichtungsmöglichkeiten für die Müllberge in den Häfen. Und obwohl Lebensmittelreste über Bord gehen dürfen, ist nicht immer nur das drin, was drin sein sollte. Jede Menge Plastik, mitgeschreddert, landet im Meer. Was an Müll an den Stränden liegen bleibt, versperrt z.B. jungen Seeschildkröten den Weg vom Geburtsstrand zum Wasser – meist mit tödlichen Folgen.
Im kenianischen Schutzgebiet Kiunga sammeln Frauen regelmäßig die schmalen Strände frei. Tausende Flip-Flops, die die Küstenstreifen säumen, zerschneiden und verarbeiten die Einheimischen zu Souvenirs weiter, wie bunten Ohranhängern. Immerhin, so kommt der Unrat aus der Meeresumwelt, zumindest vorübergehend.
Fernab von Zivilisation und Tourismus, wie an den Küsten der dänischen Faröer, haben Wissenschaftler in mehr als 90% der tot angespülten Eissturmvögel Plastikteile in den Mägen gefunden. Vergleichbare Resultate bringen auch die Nordseewellen an den Strand.
Mehr als eine Million Seevögel und Abertausende von Schildkröten sterben jedes Jahr an den lange haltbaren Überresten von Plastikmüll. Sie verhungern bei vollem Magen an nicht verdaulichen Plastiktüten oder Luftballonresten, die sie für Nahrung in den leer gefischten Meeren halten. Längst haben Vogeleltern die Palette von Müll und Plastikteilchen in ihr Repertoire an Futter auch für ihre Brut aufgenommen. Sie stopfen Gift pur in die hungrigen Schnäbel ihrer Küken. Sie kennen und finden kaum mehr genügend natürliche Nahrung. Viele krepieren qualvoll an Vergiftungen, weil sich die nur langsam auflösenden Materialien einige hundert Jahre halten.
Durch Lichteinflüsse, chemische Prozesse und Wellenbewegungen oder Reibung an Fels und Sand zerfällt das Plastik in Millimeter kleines Granulat und bunte Kügelchen. Nicht zuletzt über das Plankton gelangt es in die Mägen und ins Gewebe von Fischen und anderen Meerestieren. Zu Katalysatoren geworden, lagern sich an die Plastikteilchen im Plankton hochgiftige Substanzen, wie Insektizide oder das krebserregende PCB. Und über die Nahrungskette gelangt der ganze Giftcocktail letztendlich auch auf den Tisch von uns Menschen.
In den Weltmeeren geistern Abermillionen von Quadratmeilen Netzwerk umher, die ziellos alles fangen, was zufällig in ihre Nähe kommt. Die so genannten Geisternetze stammen aus der Fischerei und sind versehentlich verloren gegangen oder kostengünstig entsorgt worden. Sie fangen und töten völlig sinn- und ziellos, ohne dass die Fänge je nutzbar gemacht werden könnten – als Beifang.
Der Tsunami vom Dezember 2004 hatte gleich doppelt dramatische Folgen. Hunderttausende Fischernetze, Langleinen, Fischfallen und anderes Fanggeschirr wurden von den Stränden in die See gerissen. Die Fischer standen mit leeren Händen da. Die herrenlosen Fanggeschirre sind fast unverwüstlich und geistern Jahrzehnte lang weiter durch die Meere. Als „Killing Maschine“ werden sie schon jetzt Hunderttausende Fische das Leben gekostet haben, weiterhin Wale und Delfine, Schildkröten und Seevögel töten.
Es wird höchste Zeit, dass sich etwa die Internationale Konvention zur Vorbeugung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL) um das Müllproblem im Meer ernsthaft kümmert. Dass Verantwortliche oftmals wissen, was man tun kann, um die Meere besser vor uns und unserer gnadenlosen Gleichgültigkeit zu schützen, sieht man z.B. an den Bestimmungen der „International Association for Antarctic Tour Operators“ (IAATO). Sie verlangt von ihren Mitgliedern, dass z.B. ab dem 60. Breitengrad von Schiffen kein Schweröl (Sondermüll) gefahren werden darf.
Sie verlangt auch, dass jeder Müll im Hafen entsorgt werden muss, um an dieser Stelle nur zwei Beispiele zu nennen. Dass sich alle IAATO-Mitglieder verpflichtet haben, die Tier- und Pflanzenwelt der Antarktis auch bei Ausflügen zu Pinguinen & Co. zu schützen, ist selbstverständlich.
Quelle: GSM